Allgemeiner Deutscher Fahrrad-Club Kreisverband RheinBerg-Oberberg e. V.

Amtsgericht Wermelskirchen zeigt kein Verständnis für Radfahrer

Nötigung gegenüber Radfahrendem wird bagatellisiert. Der Informationsbedarf für Staatsanwalt und Richter ist mangelhaft. Selbst eindeutige Handlungsanweisungen bedingt durch neuere Gesetze in der StVO werden ignoriert. Im Ausland ist man da weiter.

1,5m Abstand Aufkleber fürs den Streifenwagen
1,5m Abstand Aufkleber für den Streifenwagen © Bernhard Werheid

Vor dem Amtsgericht Wermelskirchen wurde am 31.01.2023 eine Strafanzeige wegen Nötigung im Straßenverkehr gem. §240 StGB gegen einen 64-jährigen Kraftfahrzeugführer aus Wermelskirchen verhandelt. Kläger war der Rheinisch-Bergische Kreis (Bußgeldstelle). Als Zeuge wurde ein 56-jähriger Radfahrer aus Wermelskirchen angehört. Die Nötigung des Radfahrers durch den Autofahrer erfolgte im Rahmen eines Überholvorgangs mit zu geringem Abstand (§5 Abs.4 StVO), wurde aber unabhängig von der Ordnungswidrigkeit des zu dichten Überholens verhandelt.

Das Urteil der Gerichtsverhandlung lautete auf Freispruch für den Kraftfahrer, u. a. da die Staatsanwältin nicht nachvollziehen konnte, warum der Radfahrer nicht "einfach weiter rechts gefahren sei". Darüber hinaus wurde dem Radfahrenden unterstellt, er habe ein „Exempel statuieren wollen“.

Wir wiederum können nicht nachvollziehen, weshalb eine gefährliche und grob fahrlässige Ordnungswidrigkeit gegenüber einem Radfahrer mit daraus resultierender Nötigung vom Gericht bagatellisiert wird und der Zeuge darüber hinaus als rechthaberischer „Verursacher“ hingestellt wird, der ein „Exempel statuieren will“. Die Mindest-Seitenabstände - 1,5 m innerorts und 2 m außerorts - wurden zum Schutz der Radfahrenden im Straßenverkehr festgelegt. Täglich werden Radfahrende durch zu geringen Sicherheitsabstand gefährdet und genötigt.

Der Zeuge gibt zum Urteil an, er akzeptiere den erfolgten Freispruch des Autofahrers, verstehe aber nicht, dass weder Richterin noch Staatsanwältin sich mit dem Freispruch begnügten, sondern ihm, dem Radfahrer, Mutwilligkeit unterstellten. Ihm wurde nahegelegt, er hätte auf seine, ihm als schwächerem Verkehrsteilnehmer rechtlich eingeräumte Sicherheit, verzichten sollen, um dem Kfz-Führer eine Rechtsbrechung (gefährliches Überholen) zu ermöglichen.

Im Folgenden möchten wir als Interessenvertretung der Radfahrenden das Urteil aus unserer Sicht kommentieren.

Verkehrliche Gegebenheiten
 

Der Straßenverlauf ist gerade. Die Straße führt außerorts durch Wiesengelände. Es handelt sich in erster Linie um eine Verbindungsstraße zwischen der Landesstraße 68 und den Wermelskirchener Hofschaften Bergstadt, Friedenberg sowie Ober-, Mittel- und Niederhagen. Die durchschnittliche tägliche Verkehrsstärke ist gering. Die Fahrbahnbreite beträgt ca. 3,40 m, an beiden Fahrbahnrändern befinden sich provisorische Teerstreifen (als Ausweichmöglichkeit für Kfz-Begegnungsverkehr). Es existiert kein gesonderter Rad- und/oder Gehweg. Es gibt weder Markierungen noch Geschwindigkeitsbeschränkungen. Alle Verkehrsteilnehmer – Fußgänger Radfahrende und Kraftfahrzeuge – teilen sich gleichberechtigt eine Fahrbahn.

Überholvorgang
 

Der Radfahrer befuhr am 02.08.2021 die oben beschriebene Straße in Richtung Landesstraße 68; ihm folgte der Beklagte in einem Kraftwagen.

Rufen wir uns an dieser Stelle die StVO kurz in Erinnerung:

§ 5 (4) 1 Wer zum Überholen ausscheren will, muss sich so verhalten, dass eine Gefährdung des nachfolgenden Verkehrs ausgeschlossen ist. 2 Beim Überholen muss ein ausreichender Seitenabstand zu den anderen Verkehrsteilnehmern eingehalten werden. Beim Überholen mit Kraftfahrzeugen von zu Fuß Gehenden, Rad Fahrenden und Elektrokleinstfahrzeug Führenden beträgt der ausreichende Seitenabstand innerorts mindestens 1,5 m und außerorts mindestens 2 m. ... 6 Wer überholt, darf dabei denjenigen, der überholt wird, nicht behindern“.

https://www.stvo.de/strassenverkehrsordnung/93-5-ueberholen

https://www.bussgeldkatalog.org/seitenabstand/

Allein Sicherheitsabstand und Kfz-Breite (= insgesamt ca. 3,75 m) überschreiten die Fahrbahnbreite von ca. 3,40 m!

Der Radfahrende, sich dessen bewusst, dass ein sicheres Überholen nicht möglich ist, befährt die Fahrbahn so, dass dem Kfz ein riskantes Überholmanöver mit zu geringem Abstand nicht ermöglicht werden sollte. Der Pkw überholte dennoch, wodurch sich der Radfahrer bedrängt und genötigt sah.

In einem Video hat der Radfahrende festgehalten, wie er den Autofahrer, als dieser an der Straßeneinmündung anhalten muss, bei geöffnetem Fenster mit der Sachlage konfrontiert. Dieser zeigt sich uneinsichtig und fährt weiter. Der Radfahrende teilt den Vorgang der Bußgeldstelle des Rheinisch-Bergischen Kreises, die daraufhin Strafanzeige wegen Nötigung erhebt.

Berechnungsbeispiel:
 

Bei unserer Kommentierung stellen wir zunächst eine Berechnung an:

3,40m : Fahrbahnbreite

1,75m : minus Breite Kfz (gem. RASt06)

1,00m : minus Breite für Fahrräder (gem. RASt06) zum Straßenrand

0,65m : ergibt verbleibender Überholabstand, und das ist zu wenig!

Das heißt, ein sicheres Überholen des Radfahrers unter Einhaltung des Mindest-Seitenabstandes von 2,00 Metern gem. StVO § 5 Abs. 4 ist unmöglich. PUNKT.

Hier stellt sich doch sofort die Frage, weshalb der Kfz-Führer trotzdem ordnungswidrig überholt und somit eine Gefährdung und sogar Verletzung des Radfahrers billigend in Kauf nimmt. Da es sich nur um ein relativ kurzes Wegstück handelt, wäre es u. E. für den Führer des Kraftwagens durchaus zumutbar gewesen, im Interesse der Sicherheit und Unversehrtheit des Radfahrenden hinter diesem zu bleiben. Der vermeintliche Zeitgewinn für den 64-jährigen Pkw-Fahrer wurde im Übrigen an der Einmündung zur L 68 wieder eingebüßt.

Täter-/Opferumkehr

Oben geschilderte Sachlage hätte das Gericht sofort erkennen müssen. Stattdessen zielte die Frage der Staatsanwältin, weshalb der Radfahrende nicht einfach weiter rechts gefahren sei, darauf ab, dass es in dem Fall zu keinerlei rechtswidrigem Verhalten durch den Kraftfahrzeugführer gekommen wäre. Durch diese Fragestellung wird dem Radfahrenden Fehlverhalten unterstellt.

Das sehen wir anders: Der Pkw hätte beim Überholen auf dieser Straße keinesfalls den erforderlichen Sicherheitsabstand einhalten können, egal wie weit rechts der Radfahrer gefahren wäre. Überholt der Kraftfahrer dennoch, gefährdet dieser den Radfahrenden, nötigt ihn und begeht eine Ordnungswidrigkeit.

Regelung zum Schutz der schwächeren Verkehrsteilnehmer

Radfahren ist eine umweltfreundliche, emissionsfreie Art der Fortbewegung. Kraftfahrzeuge nehmen einen wesentlichen größeren Teil (Abmessungen und Anzahl) des öffentlichen Raums ein als Fahrräder. Doch nicht einmal dieser geringe Raum wird dem Radfahrenden in diesem Fall zugestanden, wenn es um das schnellere Vorankommen eines einzelnen Kraftfahrers geht, und zwar zu Lasten der Sicherheit eines Radfahrers.

Weshalb wird von Seite des Gerichts dem Radfahrenden, der lediglich den ihm zustehenden Sicherheitsraum im Straßenverkehr einfordert, vorgeworfen, ein Exempel statuieren zu wollen? Die Festlegung des Sicherheitsabstandes beim Überholen von Radfahrenden dient dazu, den schwächeren Verkehrsteilnehmer zu schützen. Radfahrende haben keine Knautschzone und in den wenigsten Fällen Airbags. Der in der StVO festgelegte Sicherheitsabstand beim Überholen von Radfahrenden ist eine Vorschrift und gilt generell, nicht nur dort, wo Platz genug ist!  

https://rheinberg-oberberg.adfc.de/neuigkeit/amtsgericht-wermelskirchen-zeigt-kein-verstaendnis-fuer-radfahrer

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