Parken ist zu billig
Abgestellte Autos verstopfen die Städte. Die neue Regierung könnte das Problem konsequent angehen – mit der Schweiz als Vorbild.
Ruhender Verkehr. Klingt harmlos, bereitet aber eine Menge Probleme. Autos stehen im Schnitt 23 Stunden pro Tag ungenutzt
Abgestellte Autos verstopfen die Städte. Die neue Regierung könnte das Problem konsequent angehen – mit der Schweiz als Vorbild
Ruhender Verkehr. Klingt harmlos, bereitet aber eine Menge Probleme. Autos stehen im Schnitt 23 Stunden pro Tag ungenutzt herum. Dafür müssen Städte Parkraum vorhalten, statt darauf neue und breitere Radwege bauen zu können. Zudem sind Autofahrer in Deutschlands Innenstädten durchschnittlich zehn Minuten und etwa 4,5 Kilometer unterwegs, bevor sie einen freien Parkplatz finden. Die Bewohner in Berlin, München und Hamburg leiden laut ADAC am schlimmsten unter dem Parkverkehr, der zusätzlich Abgase und Lärm verursacht.
Nerven, Zeit, Abgase: „All diese Belastungen sind vermeidbar“, sagt der Verkehrsforscher Joachim Scheiner von der Technischen Universität Dortmund. Dafür müssten Gesetze geändert werden. Der neuen Ampelregierung ist das Parkplatzproblem bewusst, sie will es aktiv angehen. Auch die alte Regierung hat reagiert.
Parken gilt in Deutschland als ruhender Verkehr – mit entsprechenden Rechten. „Das ist widersinnig“, sagt Scheiner. In der Schweiz zählt nur Kurzzeitparken zum Verkehr, wer länger parkt, muss das auf privaten Flächen tun. „Wenn Parken kein Verkehr ist, könnten wir anders mit dem öffentlichen Raum umgehen“, so der Verkehrsforscher. Dann müssten Kommunen dafür keine Plätze mehr zur Verfügung stellen. Mit Parkplätzen wird öffentliche Fläche, die allen zur Verfügung steht, für wenige verschwendet. Scheiner plädiert dafür, dass Autobesitzer sich selbst um einen Stellplatz kümmern sollten, denn es sei nicht Aufgabe des Staates, dafür zu sorgen, dass Parkflächen zur Verfügung stehen. Das würde Platz schaffen in überfüllten Städten.
Dasselbe gilt, wenn sich Autofahrer an die gesetzlichen Vorschriften halten würden. „Garagen werden oft gar nicht als solche genutzt, sondern dienen als Lagerstätte fürs Gerümpel, für die Fahrräder oder stehen einfach leer, weil die dicken SUVs von heute nicht mehr in die schmalen Garagen von gestern passen“, sagt Scheiner. Dabei gibt es eine Garagenverordnung, die besagt, dass ein Auto in der Garage stehen muss und nichts anderes darin gelagert werden darf.
Scheiner hat in einem Forschungsprojekt herausgefunden, dass 30 bis 50 Prozent des illegalen Parkens verschwunden wäre, würde die Vorschrift befolgt. Laut dem Verband der Automobilindustrie haben drei Viertel aller Autobesitzer eine Garage, einen Carport oder einen privaten Stellplatz. Sie parken falsch, weil es keine freien legalen Plätze gibt und sie wissen, dass nur selten kontrolliert wird und wenn doch, die Strafe mit 10 oder 20 Euro nicht sehr weh tut und teilweise unter den Gebühren im Parkhaus liegen. Falsch parken ist die günstigere Alternative zum richtig parken.
Anwohnerparken war in Deutschland spottbillig. Maximal 30,70 Euro durften Kommunen pro Jahr verlangen. Der Preis war eher eine Gebühr für den Parkausweis als ein Hebel, um den Verkehr zu steuern. Mitte 2020 wurde das Straßenverkehrsgesetz geändert. Seitdem dürfen die Bundesländer festlegen, ob und wie viel sie für Anwohnerparkplätze in ihren Innenstädten verlangen wollen. Die Länder können es auch den Kommunen überlassen, wie hoch die Parkgebühren sein sollen.
Tübingen verteuert als eine der ersten Städte das Anwohnerparken spürbar: ab Januar 2022 steigt die jährliche Gebühr auf 120 Euro an. Für Autos mit Verbrennungsmotor, die mehr als 1800 Kilogramm wiegen, und für Elektroautos mit einem Gewicht von mehr als 2000 Kilogramm liegen die Gebühren bei 180 Euro. Wegen der Batterie sind Elektrofahrzeuge schwerer, dieser Nachteil wird berücksichtigt. Damit hat sich Tübingens grüner Oberbürgermeister Boris Palmer mit seinem Anliegen durchgesetzt, dass es einen klaren Unterschied zwischen kleinen Stadtfahrzeugen und großen Geländewagen geben muss.
„Die Debatte um Parkgebühren ist eine Debatte für das Klima und das Klimaproblem lösen wir nur, indem Autofahren unattraktiv wird und es bessere Alternativen dafür gibt“, sagt Verkehrspsychologin Meike Jipp, Direktorin des Instituts für Verkehrsforschung am Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt. Weil Bestrafung in der Verhaltensänderung stärker wirkt als Belohnung, hält sie höhere Parkgebühren für ein richtiges Mittel, um Autos aus den Städten zu verdrängen. Ergänzt werden sollten sie mit einem attraktiven öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV). „Parken muss teurer sein als das ÖPNV-Ticket, dann werden Busse und Bahnen eine echte Alternative“, sagt Jipp.
Die Ampelkoalition hat in ihrem Koalitionsvertrag beschlossen, „Länder und Kommunen in die Lage zu versetzen, Attraktivität und Kapazitäten des ÖPNV zu verbessern“. der Bund will Geld geben, damit der ÖPNV ausgebaut wird. Ziel ist es, die Fahrgastzahlen zu steigern und den Autoverkehr zu mindern. Das würde die Innenstädte entlasten, die Idee aber ist alt.
Weiterhin will die neue Koalition „eine Öffnung für digitale Parkraumkontrolle“. Das kann die Parkplatzsuche verkürzen. Denn für rund 65 Millionen Fahrzeuge gibt es 160 Millionen Stellplätze. Schätzungen zufolge ist selbst in Spitzenzeiten der Parkraum durchschnittlich nur zu 70 Prozent ausgelastet. Software kann dabei helfen, die Lücken zu füllen.
Auch dieser Ansatz der Ampel ist nicht neu. Viele Kommunen nutzen bereits die Möglichkeiten, den Parksuchverkehr zu lenken, häufig in Pilotprojekten. In Ludwigsburg wird dazu eine intelligente Parklösung in einer vielbefahrenen Straße eingesetzt, sie besteht aus Sensoren und Displays. Parkraumdetektoren wurden an Laternenmasten montiert, Displays navigieren Autofahrer zum nächstgelegenen freien Parkplatz. Solche Lösungen sind ein Echtzeit-Navi fürs Parken.
Sie helfen, Parkplätze elektronisch optimiert zu belegen, was den Autofahrer freut. Sie sorgen aber auch dafür, dass die Innenstädte noch voller werden, weil jede Parklücke geschlossen wird. Der Platz für Menschen wird weniger.
PETER ILG